Christer Lilliehöök 12. März 1949 – 1. April 2014
Viele Zig-Zag-Leserinnen und -Leser erinnern sich an Christer wegen seinen vielen Besuchen in Caux und vor allem wegen den neun Jahren, die er in den 70er Jahren dort verbracht hat. Ausschnitte aus dem Beitrag von Gunnar Söderlund, Schweden, anlässlich der Feier vom 14. April
Über all die Jahre haben Christer und ich viel miteinander unternommen. Wir gingen Fischen und Segeln. Wir fuhren Ski in den schwedischen Bergen. Wir haben Erde ausgehoben und Nägel eingeschlagen. Wir haben auf einem kleinen Hügel bei Salzburg Bridge gespielt und verloren. Bei unserem ersten Besuch in Caux 1967 rannten wir vom Grand Hotel hinunter um den Bus zu erwischen, der uns heimbringen sollte. Dabei fiel ich unglücklich und renkte meinen Ellbogen aus. Ohne zu zögern setzte Christer seinen Fuss auf meinen Brustkasten und riss schnell und kräftig an meinem Arm und brachte so den Ellbogen wieder in die richtige Position. Wir schafften es den Bus zu erreichen.
Während vielen Jahren gehörten wir zur Gemeinschaft in der Villa Maria in Caux. Für mich waren das die glücklichsten, sorglosesten und reichsten Jahre meines Lebens. Dort fanden wir auch beide unsere Liebsten. Holz fällen an den Hängen von Caux ist nicht einfach. Zwar ist das Fällen an sich leicht, aber die Herausforderung ist, den Stamm daran zu hindern das Gefälle von 45% hinunterzurutschen. Ich kann mich noch gut an das Unbehagen erinnern, das Christer, Jean-Paul Donner, ich und andere hatten als wir einen 4m langen Stamm präparierten. Wir hatten die Rinde entfernt, damit wir ihn einfacher auf die Strasse hinaufziehen konnten. Dann zerriss eine Leine und der schwere Stamm sauste den Hang ins Tal hinunter und überschlug sich. Zitternd forschten wir anderntags in der Zeitung ob der Stamm auf seiner Fahrt Schäden angerichtet hatte.
Waren Christer und ich eng befreundet? Nicht so dass wir jederzeit über alles und nichts miteinander sprachen: in wen wir uns verliebten oder welche Leute uns unerträglich waren. Es gab nur eine Person, mit der ich eine solche Beziehung hatte: Es war Jean-Marc Duckert, der viel zu früh gestorben ist. Aber Christer war mir immer durch seine Art sehr nahe. Das Leben gab uns verschiedene Gaben. Theorien und geistige Purzelbäume waren nicht Christers Stärke. In einer Gesellschaft, in der schnelles Denken und rasches Antworten verherrlicht werden, konnte er nicht immer mithalten. Mir fiel es leichter. Manchmal frage ich mich, ob dies unsere Beziehung belastet hat.
Vor ein paar Jahren begannen wir einen schriftlichen Gedankenaustausch über ein Leben, das die Basis für eine neue Welt schaffen würde, wozu wir beide uns berufen fühlten. So wie es unsere Eltern zuvor gelebt hatten. Christer war ziemlich entmutigt. Da gab es neue Formen und Ausdrücke, die er nicht verstand und die er fast nicht akzeptieren konnte. Auf seine Art wollte er seine Überzeugung weitergeben, fand aber nicht immer Gehör. Einmal fragte er mich um Rat und ich schrieb ihm: Dein Vertrauen in meine Meinung hat mich sehr berührt. Du schreibst auch, dass es dir nicht gelinge die Texte und Ausdrücke (besonders in einer Fremdsprache) zu verstehen. Ich glaube nicht, dass du gegen gewaltige Windmühlen ankämpfen sollst. Du und Rosmarie könnt etwas viel wichtigeres tun. Etwas, das wenige Leute so gut verstehen wie ihr beide: Für einzelne Menschen sorgen. Bleibt euch selbst treu im Umgang mit anderen Leuten. Vertieft eure Beziehung zu denen, für die es nötig ist und die den Wunsch haben mitten im Sturm zu leben. Seid ein fast unsichtbarer Teil der kritischen Masse.
Bande der Freundschaft und Liebe wiegen schwerer als jede Organisation. Denn diese gehen viel tiefer. Meine Mutter sagte, dass du immer den Weg zurück zu deiner ersten Liebe finden wirst. Für sie war dies das Leben für eine neue Welt, das sie 1938 in Visby in sich aufgenommen hatte, und das ich als 16-jährigiger mit dir und anderen zu erfahren begann.
Ich kenne mindestens drei Eigenschaften, die du hast und die mir fehlen: Die erste ist Demut. Du wagst es deine eigenen Grenzen zuzugeben. Die zweite ist ein grosses Kämpferherz (wholeheartedness). Ich kann mich an kein einziges Projekt erinnern, für das du dich nicht von ganzem Herzen eingesetzt hast. Auch wenn ich mich manchmal fragte, ob es sinnvoll sei. An die dritte Eigenschaft hast du wahrscheinlich selber gar nicht gedacht, aber ich hatte nie den Eindruck, dass du zynisch warst. Ich denke das ist die Frucht von Demut und deinem grossen Herzen. Soweit mein Brief. Die vierte Eigenschaft fiel mir kürzlich ein: Christer hat mich kein einziges Mal verletzt. Bewusst oder unbewusst. Ich begann mich zu fragen ob das gemeint sei mit: Die Demütigen werden das Erdreich erben.
Zur selben Zeit, da Christer auf die letzte Reise ging, sass ich auf meinem Traktor und dachte an ihn, da ich in meinem Herzen wusste, dass seine Zeit sehr bald zu Ende ging. Ich sass weinend bei den Kühen. Da kam mir plötzlich die Musik von „The Armed Man“ von Karl Jenkins in den Sinn. Die letzten Zeilen lauten: Und abwischen wird er jede Träne von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, und kein Leid, kein Geschrei und keine Mühsal wird mehr sein. Lobt Gott! Die vorangehenden Zeilen gehören zum Gedicht „Läutet, ihr wilden Glocken” von Alfred Lord Tennyson. Es wird hier in Stockholm jeweils am Silvester um Mitternacht gelesen. Aber nur in einer lahmen und verwässerten Version des Originals. Wir alle fühlen uns mit dem Sehnen des Dichters verbunden, der vor 150 Jahren schrieb: Läutet einen tausendjährigen Frieden ein. Aber in Schweden haben wir vorgezogen all die Zeilen beiseite zu lassen, in denen der Dichter seine Vision von der Veränderung beschreibt, die in jedem von uns geschehen muss, und vom Preis, den wir dafür zu bezahlen haben, damit dieser Friede Wirklichkeit wird. Allein auf meinem Traktor sitzend spürte ich, dass die letzte Strophe dieses Silvester Glockengedichtes Christer beschreibt: Ring in the valiant man and free Läute den beherzten und freien Menschen ein the larger heart the kindlier hand. mit weiterem Herzen und freundlicherer Hand. Ring out the darkness of the land. Läute die Dunkelheit zum Land hinaus. (Dafür hat Christer gekämpft) Ring in the Christ that is to be. Läute den Christus ein, der da kommt. (Diese Zeile fasst sein Leben und Sehnen zusammen.)
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