Madeleine Borel 1898-1988
Am 24. Mai Madeleine Borel friedlich eingeschlafen. Sie war 90 Jahre alt. Bis wenige Wochen vor ihrem Heimgang konnte sie in ihrer Wohnung bleiben. Hier hatte sie im Laufe der Jahre unzählige Freunde empfangen, die in Genf an irgendeiner Aktion der Moralischen Aufrüstung teilnahmen und keiner dieser Freunde wird Madeleines ausgeprägte Persönlichkeit vergessen.
Sie hatte einen tiefen Glauben, verfügte über eine grosse Bibelkenntnis und las mit Freude geistliche Bücher, die einzigen, die es sich ihrer Auffassung nach zu lesen lohnte. Trotzdem stellte sie sich bis zum Ende grundlegende Fragen.
Davon sprach der Pfarrer bei der Abdankung, so erinnerte er sich an den letzten Karfreitag, als er Madeleine das Abendmahl brachte. In ihrer Küche entspannte sich ein langes Gespräch, unter anderem über die Vollkommenheit. Madeleine, die sich selbst als sehr unvollkommen empfand, fragte sich, ob man vielleicht, nach dem Tode noch ein paar Stufen in Richtung Vollkommenheit aufsteigen könne. Der Pfarrer hatte ihr geantwortet: "Machen Sie sich keine Sorgen. Da, wo Sie sein werden, wird auch Christus sein."
Sie hatte ihn aber auch einmal in seinem Büro aufgesucht um ihn zum Beten aufzufordern. Nicht weil sie es nötig hatte, sondern weil es sie danach verlangte. "Es war in ihr eine Art Einvernehmen mit Christus", sagte Pfarrer de Montmollin.
AIIe, die sie kannten, haben das gespürt. Uns, die wir nicht einmal halb so alt waren wie sie, überraschte sie immer wieder mit ihrer streitbarkeit. Nach aussen erschien sie als Kapitalistin, da sie von ihrer Familie ein Vermögen ererbt hatte. In Wirklichkeit suchte sie unermüdlich, dieses Vermögen in den Dienst Gottes zu stellen, durch Werke und Menschen, an die sie glaubte und sie versagte sich oft Dinge, deren Gebrauch uns als für sie normal erschienen wären.
So verwunderte sie sich bis vor wenigen Monaten über die Höflichkeit der Leute, die ihr im Bus ihren Platz anboten, während wir sie umsonst dazu überreden versuchten, einenTaxi zu nehmen. Eines Tages sagte sie zu uns: "Ich hatte immer genug GeId und musste nie arbeiten,das ist nicht normal."
Bei meinem letzten Besuch war sie sehr müde, sie hatte Mühe dem Gespräch zu folgen und wusste manchmal nicht, wovon wir sprachen. AIs ich mich verabschiedete, sagte sie: "Ich wünsche mir, sie sprächen Französisch." Erstaunt fragte ich, was sie damit meinte "Sie haben gesagt "tout de bon", das ist Waadtländisch, nicht Französisch. Man muss sagen: "Je vous souhaite mes meilleurs voeux."
Madeleine machte sich Sorgen um die Welt, sie fürchtete, dass wir immer schlimmeren Katastrophen entgegengingen. In diesem Zusammenhang erwähnte der Pfarrer die Geschichte von Abraham und Gottes Versprechen, dass er Sodom und Gomorra nicht zerstören würde, wenn sich noch zehn Gerechte darin fänden. Er fügte bei: "Die Kirche wird nicht sterben. Nicht der Dogmen wegen, aber wegen Leuten wie Madeleine, die Zeugen eines lebendigen Christus sind."
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